
Samu, Status: Höllenfürst und Prinz der Finsternis, kam 2017 zu uns in die Foundation. Tatsächlich wurde er zu einem Seminar mitgebracht. Dies allerdings nicht an Halsband und Leine, so wie die meisten befellten und befangzahnten Teilnehmer, sondern in einer Transportbox, die in seinem Fall einen Ganzkörper-Maulkorb darstellte. Die Kiste stand schattig, und dass sie mit Leben befüllt war, merkte man lediglich, wenn man hineinsah. Dann funkelten einen zwei schwarze Augen aus einem undefinierbar struppigen Fell an, welches mit den Schatten in der Kiste verschwamm.
Samu bewachte seinen DIN-A3-großen Bereich bis aufs Äußerste und war zu keinen Verhandlungen bereit. Und so, liebe Damen und Herren, sind Hunde. Wenn sie entschlossen sind, bleiben sie auf ihrem Standpunkt und weichen keinen Millimeter davon ab – völlig egal, wie rau, wie unliebsam und wie dramatisch die Umstände sind. Oft beruht diese wilde Entschlossenheit zum Kampf aber eben auch auf der Hilflosigkeit, es einfach nicht besser zu wissen oder gelernt zu haben.
Samu war als Zwergschnauzer nun mal eine Kämpfernatur, gefangen in einem vier Kilo schweren Teddybären-Kostüm, und wurde in seinen Charakterzügen einfach nicht ernst genommen – in seinen Bedürfnissen und seiner Art nicht wahrgenommen und oft auch einfach mit dem Label „Aaaaw, ist der süß!!“ mit Menschlichkeit überfahren und bedrängt. Das muss er doch auch mögen …
Dies führte letztlich zu einem durchaus wütenden und unverhältnismäßigen Hund, der einfach aus allem einen Konflikt zauberte. Anleinen? Bissverletzung. Bart auskämmen und nachschneiden, damit kein Futter drin hängen bleibt? Katastrophe. Füße abtrocknen? Kernschmelze.
Und so war es jetzt eben die Box, die er zwar scheiße fand, aber eben nicht so scheiße wie das Draußen und das „Gemenschel“, das dort so herrschte. Was macht man da? Vor allem, was macht man da, wenn die Ansage der Halter/Züchter lautet: „Also, Frau Bokr, wenn Sie den Kerl nicht dort raus- und in den Griff bekommen, dann bringen wir ihn zum Tierarzt.“
Harte Ansage und baut zum Glück gar keinen Druck auf. Dies war aber das Resultat dessen, dass Samu den Züchter wirklich ordentlich in die Hand gepackt und sich dann in die Kiste geflüchtet hatte, wo er nun schon mehrere Tage drin saß, ohne einmal rausgekommen oder sich gelöst zu haben.
Ein Fetzen einer Hausleine hing noch am Halsband, und bevor wir alle nun weiter in dieser aufgeregt-unangenehmen Situation verweilten, während Samu in der Kiste auf uns zusprang wie der böse Clown aus der Spieluhr, bei der der Deckel klemmt, entschied ich mich, die Dinge abzukürzen. Deckel auf, Box auf den Kopf gedreht, einmal kräftig geschüttelt und direkt mit den dicken Stiefeln auf den Leinenschnipsel vom fallenden und wütend kreischenden Morgenstern gestellt.
Ein Biss in den Stiefel, ein zweiter, wütende Trollsounds, Fauchen, drei, vier, fünf, sechs Bisse. Ein etwas lauteres „Ey! Bist du fertig?!“ von mir mit direktem Blick – und Samu stellte seine Lauschlappen senkrecht, setzte sich hin und schaute mich an. Ich nahm den Leinenschnipsel in die Hand und baute eine Verlängerung dran, und dann sind wir erst mal ein bisschen gelaufen und haben endlich Pipi gemacht – und auch die Nummer zwei.
Natürlich hätten wir auch mit einer Narkose arbeiten können. Dagegen sprach aber, dass ein Zwergschnauzer auf Level Atomkrieg keine anonyme Handhabe und keinen ängstlichen und unsicheren Umgang mehr braucht, sondern einen seiner Intensität angepassten Einstieg in ein Gespräch. Selbst wenn seine Wut einst Hilflosigkeit und Unsicherheit als Nährboden hatte, so hatte er die übersteigerte Aggression ja mittlerweile zum Mittel der Wahl im Umgang mit Menschen gemacht und diese auch als selbstbelohnendes Verhalten in sein Repertoire aufgenommen.
Hier hilft am besten ein Mensch, der sich unbeeindruckt zeigt und einen besseren Fahrplan hat – statt Betäubungsmittel, welches aufgrund von Nebenwirkungen und gesundheitlichen Aspekten sowieso immer das letzte Mittel der Wahl sein sollte. Wir @Hell nutzen Narkosen so gut wie nie, um an Hunde ranzukommen, da dies weder schonend noch nett ist. Je nach Betäubung (etwa mit Sedalin) sind die Hunde bei Bewusstsein, aber bewegungsunfähig. Mich würde das stressen – in einem Umfeld, das ich als bedrohlich/gefährlich empfinde.
Samu jedenfalls hat ein gutes Jahr bei mir und mit den großen, bösen Hunden in der Foundation gelebt, ehe er von zwei wirklich coolen Mädels adoptiert und in Frankfurt am Main sein Territorium nebst XXL-Bully-Kumpel erobert hat. Punkpartys, lange Spaziergänge über die Zeil, Urlaube in überall und Hundefrisör – das war ab da sein Leben, und er feierte es hart.
Leider aber entschieden sich seine Halter dazu, in die Staaten auszuwandern. Beim Durchgehen der Einreisebestimmungen wurde allen relativ schnell klar, dass Samu vermutlich nicht lebendig durch Quarantäne und Zoll kommen würde. Denn in all den Jahren war er zwar Menschen, die er gut kannte, sehr zugetan und offen gegenübergetreten, bei Fremden aber eher in die Kategorie „Tasmanischer Teufel“ gefallen.
Ein Check-up durch einen Veterinär ohne die Anwesenheit der Halter hätte ihm ohne Zweifel ein Attest mit der Diagnose „Tollwut“ eingebracht. Alles in allem keine gute Prognose. Und so kehrte Samu, der Schreckliche, nach dem Big-City-Life nach vier Jahren in die Foundation zurück – allerdings nicht als Hellhound, sondern als Direktadoption durch Mitarbeiterin Laura, die er nun mit seinen 13 Jahren und seiner herrlich ehrlichen Schnauzerart gut auf Trab hält.
Samu ist ein krasses Beispiel für unsere menschliche Arroganz und Überheblichkeit, charakterstarke und vollblütige Hunde in viel zu kleine Körper zu züchten, sie dort komplett sozial verwahrlosen zu lassen und dann wie ein kaputtes Spielzeug zu entsorgen. Es ist ein Unrecht, das tausenden kleinen Hunden tagtäglich widerfährt und oft viel zu spät ernst genommen wird. Es ist Missbrauch und bewusst gefördertes Tierleid – zugedeckt mit einem viel zu alten Blatt Papier, das als Tierschutzgesetz verstanden wird.
Auch kleine Hunde haben ein Recht auf artgerechten und sachkundigen Umgang. Sie sind genauso auf unsere Führung und Grenzen angewiesen, die ihnen ein gesundes und erfülltes Leben in unserer Welt ermöglichen, wie ihre größeren Artgenossen.